Im Rahmen der von der Fritz Thyssen Stiftung geförderten Untersuchungen der ibero-römischen Höhensiedlung im südlichen Andalusien fand vom 7.8. bis 7.9.2025 eine zweite Ausgrabungskampagne im Stadtgebiet sowie vom 2. bis 30.10.2025 eine weitere Surveykampagne im Umland Carissas statt. Ziel des Projekts ist es, Struktur und Entwicklung der Stadt im Verbund mit seiner Mikroregion zu untersuchen und damit einen Beitrag zur langfristigen Siedlungsgeschichte des Guadalete-Tals zwischen Bronzezeit und islamischen Mittelalter zu leisten. Das Projekt wird in Kooperation mit den Universitäten Sevilla, Groningen und Kiel durchgeführt und von den Gemeinden Bornos und Espera unterstützt.
In dieser zweiten Grabungskampagne wurden innerhalb des Stadtgebiets drei weitere stratigraphische Sondagen durchgeführt, die sich unterschiedlichen Fragestellungen widmeten. In Sondage 4 erfolgte die Untersuchung einer zweiten Straße, diesmal in der Oberstadt. Ähnlich wie bei der letztjährig untersuchten Straße erwies sich die Pflasterung aus großformatigen Mikritsteinplatten noch vollständig erhalten. Wie inzwischen C14-Datierung aus Sondage 3 zeigen, stammt sie wahrscheinlich aus dem frühen 2. Jh. Seitlich der Straße konnte ein anschließendes Wohngebäude erfasst werden. Es weist viele Bau- und Nutzungsphasen auf, die von der späten Republik (2./1. Jh.v.Chr.) bis in die hohe Kaiserzeit (2. Jh.) reichen. Das Areal wies zudem zahlreiche islamisch-zeitliche Grubeneingriffe (10-12. Jh.) auf.
In der benachbarten Sondage 5 sollte am nördlichen Steilabhang der Siedlung die Stadtmauer untersucht werden. Allerdings zeigte sich, dass die ursprünglich hierfür gehaltene Mauerstruktur aus der islamischen Zeit stammt, während die antike Stadtmauer knapp außerhalb und hangabwärts der Sondage lokalisiert werden konnte. Die Sondage erfasste stattdessen ein Wohngebäude, dessen erste Phasen ebenfalls in die spätrepublikanische Zeit zurückzureichen scheint mit zahlreichen späteren Umbauten und Nutzungsphase, die möglicherweise bis in die Spätantike reichen. Für eine abschließende chronologische Einordnung muss jedoch die Keramik- und C14-Datierungen abgewartet werden.
Zur Untersuchung des Forums wurde mit Sondage 6 ein tiefgehender Grabungsschnitt unmittelbar unter dem Akropolishang angelegt. Ähnlich wie in der letztjährigen Sondage 1 fanden sich unter mächtigen Verschüttungsschichten zunächst zwei einander ablösende Mauerzüge des islamischen Mittelalters, die eine leicht abweichende Ausrichtung zu den älteren Forumsstrukturen aufweisen und aus Spolienmaterial errichtet wurden. In einer Teilabtiefung konnte in einem kleinen Ausschnitt das kaiserzeitliche, noch vollständig erhaltene Forumspflaster erreicht werden, das aus regelmäßig geschnittenen, rechteckigen Mikritplatten besteht. Es wurde auf der Nordseite durch den Stylobat der nördlichen Portikus begrenzt. Plattenpflaster und Stylobat waren von einer starken Brandschicht bedeckt, in der sich zahlreiche verbrannte Dachziegel und Marmorverkleidungsplatten fanden. Es scheint demnach, dass das Ende des Forums durch ein mächtiges Feuer verursacht wurde. Die noch durchzuführenden C14-Analysen werden hoffentlich Aufschluss zur Datierung dieses Schadensereignisses geben.
Parallel zu den Ausgrabungen wurde auch der innerstädtische Survey fortgesetzt, wobei in diesem Jahr ein Nord-Süd-Transekt in der Oberstadt durchgeführt werden konnte. Ferner erfolgten systematische Schlämmungen von Erdproben zur Gewinnung von archäobotanischem Material sowie weitere Untersuchungen zur Keramik und Baukeramik (Dach- und Mauerziegel). Eine detaillierte Analyse der erhaltenen Gebäudereste erbrachten neue Erkenntnisse zu teilweise sehr spezifischen Mauerwerkstechniken.
Nach Abschluss der innerstädtischen Grabungen wurde im Oktober unter Federführung der Universität Groningen der systematische Umlandsurvey fortgesetzt. Erneut konnten zahlreiche neue Fundstellen unterschiedlicher Funktion und Zeitstellung identifiziert werden konnten, darunter Farmen, landwirtschaftliche Installationen sowie Produktionsstätten für Ziegel und Keramik.
Insgesamt haben die bislang in Carissa durchgeführten Arbeiten zu einem großen Erkenntnisgewinn geführt, welche die Entwicklung der Stadt und ihres Umlands auf eine völlig neue Grundlage stellen.
Leitung: M. Heinzelmann (Köln), T. de Haas (Groningen), J. Lehmann (Kiel), D. Romero Vera (Sevilla), M. Rubio Valverde (Cordoba)
Organisation: Ch. Avenarius
Teilnehmende: Th. Isenbart, D. Schnalke, L. Vornweg (Schnittleitung), M.A. Berger, J. Carlos Ventura, Ph. Dücker, F. Franke, S. Kinsey, A. Liß, A. López Salamanca, A. Meise, A. Polnik, A. Pueyo Castaño, Z. Rodríguez Gómez, J. Ruiz Villena, J. Schmidt, A. Sijtsma, C. Venema, F. Zeiger, A. Maurer, M. Schepers (Archäobotanik), D. Heinzelmann (Bauaufnahme)
Kooperationen: Universidad de Sevilla, Rijksuniversiteit Groningen, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Junta de Andalucía, Ayuntamiento de Bornos, Ayuntamiento de Espera, Museo Arqueológico de Espera
Förderung: Fritz Thyssen Stiftung